Tierwohl & Agrarpolitik

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AP 30+: Zukünftige Ausrichtung der Ernährungs- & Agrarpolitik

Nach einer Phase des Stillstands kommt Bewegung in die Agrarpolitik: Der Bundesrat hat mit dem Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik die Basis für die Reform «AP 30+» gelegt. Ab 2030 werden Landwirtschaft und Ernährung als Gesamtsystem betrachtet – mit klaren Zielen: Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit und Resilienz, mehr Tierwohl, klimaverträgliche Produktion sowie stärkere Kreislaufwirtschaft und standortgerechte Bewirtschaftung.

STS-Position und Anschluss an AP 30+

Die neue Ausrichtung nimmt zentrale Anliegen des Schweizer Tierschutz STS auf. Bereits lancierte Kampagnen wie «Weniger Fleisch – dafür aus tiergerechter Haltung» sowie die Vergleichsplattform «Essen mit Herz» für Tierwohl-Labels zielen in dieselbe Richtung: weniger Tierleid, mehr Transparenz und ein bewusster Konsum.

Vision des Bundesrats – Chance fürs Tierwohl

Die vom Bundesrat skizzierte Ernährungs- und Agrarpolitik setzt auf Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit und Resilienz – vom Feld bis auf den Teller. Tierwohl ist darin als Bestandteil der Nachhaltigkeit verankert. Indirekt profitiert das Wohl der Nutztiere insbesondere durch:

  • Umbau des Ernährungssystems in Richtung klimafreundlicherer, pflanzlicher Proteine statt schwergewichtiger Tierproduktion.
  • Standortgerechte Landwirtschaft & Kreislaufwirtschaft: weniger Futterimporte, Abbau intensiver und tierferner Produktionssysteme; mehr hofeigener Futterbau, der nicht mit der menschlichen Ernährung konkurriert.

STS-Kernforderung

Aus Sicht des STS stärkt eine geringere Tierzahl in der Landwirtschaft sowohl das Tierwohl als auch die Versorgungssicherheit. Voraussetzung für eine nachhaltige, tierfreundliche Produktion sind faire Handelsbeziehungen, die Bäuerinnen und Bauern eine wirtschaftliche und soziale Perspektive sichern.

Mitwirkung in der AP 30+-Begleitgruppe

Für die Ausarbeitung von AP 30+ hat der Bund eine Begleitgruppe eingesetzt. Darin vertreten sind zentrale Akteure aus Landwirtschaft, Wirtschaft und Umwelt. Der STS ist als einzige Tierschutzorganisation beteiligt – und bringt die Anliegen des Tierwohls aktiv ein und verteidigt sie.

Herausforderungen auf dem Weg zu mehr Tierwohl

Der STS sieht deutliche Widerstände:

  • Gewohnheiten & Preisfokus: Unsere fleischlastige Ernährung und ein Einkaufsverhalten, das häufiger vom Preis als vom Tierwohl gesteuert wird.
  • Marktmacht einzelner Branchen: Fleisch-, Futtermittel- und Handelsunternehmen verteidigen ihre wirtschaftlichen Interessen mit grosser Schlagkraft.

Wofür sich der STS in AP 30+ einsetzt

Trotz dieser Hürden treibt der STS im Rahmen von AP 30+ folgende Ziele voran:

  • Gesunde, tierfreundliche Ernährung fördern.
  • Hohe Tierwohlstandards verbindlich verankern.
  • Umweltverträgliche Produktion stärken (standortgerecht, kreislauforientiert).
  • Faire Entschädigungen entlang der Wertschöpfungskette sichern.

Gemeinsam stärker: Allianzen nutzen

Um Wirkung zu erhöhen, arbeitet der STS mit progressiven Partnern zusammen – etwa in der Agrarallianz.

Einen graue Türe mit Gittern wodurch eine braun weisse Kuh hinausschaut

Tierschutz und nachhaltiger Konsum


Wie kann der Schweizer Tierschutz STS die Entwicklungen in Richtung eines nachhaltigeren und tiergerechteren Konsums und einer tierfreundlichen Produktion beeinflussen?

International: Handel, Import & Tierwohl


Der Schweizer Tierschutz STS wirkt über die Schweiz hinaus. Ziel ist, Tierwohlstandards entlang globaler Lieferketten zu stärken – damit Konsument:innen in der Schweiz verlässlich tierfreundliche Produkte wählen können.

Zusammenarbeit in Europa

Der STS fokussiert international auf Kernthemen des Tierwohls und steht mit europäischen Verbänden im engen Austausch. Als Mitglied der Eurogroup for Animals bringt der STS Schweizer Positionen in EU-Debatten ein und stärkt Allianzen für höhere Mindeststandards.

Freihandel ja – aber nicht ohne Tierwohl (Beispiel Mercosur)

Der STS lehnt Freihandelsabkommen nicht grundsätzlich ab. Er wird jedoch aktiv, wenn Abkommen Tierwohl, Umwelt- oder Konsumentenschutz unterlaufen. Beim Mercosur-Abkommen kritisiert der STS insbesondere die Gefahr, dass grosse Mengen tierschutzwidriger Importprodukte in die Schweiz gelangen, die den hiesigen Standards deutlich hinterherhinken. Das benachteiligt Produzent:innen mit tierfreundlicher Haltung und schwächt den Markt für Labelprodukte.

Warum klare Regeln für Importe nötig sind

Ohne punktuelle Importverbote und eine konsequente Deklarationspflicht können Konsument:innen Tierhaltungsbedingungen kaum nachvollziehen. Transparente Kennzeichnung schafft Fairness im Wettbewerb, erleichtert bewusste Kaufentscheide und verhindert, dass niedrige Standards Druck auf das Schweizer Niveau ausüben.

Tierwohl, Entwaldung und Biodiversität

Intensive Nutztierhaltung und Futtermittelimporte stehen oft im Zusammenhang mit Abholzung. Das gefährdet Flora und Fauna und zerstört Lebensräume für Wildtiere. Der STS macht auf diese Zusammenhänge aufmerksam und fordert Handelsregeln, die Entwaldung ausschliessen und Biodiversität schützen.

Wofür sich der STS international einsetzt

Kurz zusammengefasst verfolgt der STS international vier Prioritäten:

  • Gleichwertige Standards: Kein Importvorteil für Produkte aus tierschutzwidriger Produktion.
  • Transparenz: Verbindliche Deklaration der Haltungs- und Produktionsmethoden.
  • Marktfairness: Schutz der inländischen Tierwohlleistungen vor Preisdumping.
  • Naturschutz: Handelsbedingungen, die Entwaldung und Lebensraumverlust ausschliessen.

So stärkt der STS den Tierschutz grenzüberschreitend – und schafft Rahmenbedingungen, in denen tierfreundliche Produkte auch international eine Zukunft haben.

MEINUNG & DEBATTE: Beiträge zu aktuellen STS-Themen


Der Schweizer Tierschutz STS veröffentlicht unter dem Format Meinung & Debatte Diskussionsbeiträge mit dem Ziel, das Tierwohl im komplexen Themenfeld der Nachhaltigkeit besser einzuordnen. Wie wir mit den Tieren umgehen, hat Auswirkungen auf die Umwelt und unsere Gesundheit. Der STS legt Wert auf das Wissen zu diesen Wechselbeziehungen zwischen dem Tier und seiner Umwelt und stellt somit regelmässig in Diskussionsbeiträgen solche Spannungsfelder vor.

Schadet oder nützt mehr Tierwohl der Umwelt?

Dr. ing. agr. ETH Andreas Bosshard und Veronica Buchmann, Ö+L GmbH

Ö+L GmbH hat im Auftrag des STS eine Übersicht über die Auswirkungen des Tierwohls auf die Umwelt und weitere Nachhaltigkeitsparameter erstellt. Die Grundlage dafür bildete das Nachhaltigkeitstool 3V und die im Rahmen des Projektes 3V gesichtete Literatur. Die Analyse zeigt: Mehr Tierwohl führt in den meisten Fällen zu erheblich mehr Umweltschutz.

Den Fünfer und das Weggli gibt es in der Regel nicht. Entweder oder – du musst dich im Leben entscheiden. Dieses Prinzip haben sich Generationen von Schweizer Kindern verinnerlicht – und es offensichtlich ein Leben lang nicht vergessen. So meinen wir als Erwachsene das Weggli-Prinzip oft auch dort zu erkennen, wo es gar nicht existiert. Ein solches Beispiel ist das Tierwohl.

Immer wieder wird nämlich behauptet, mehr Tierwohl schade der Umwelt. Die landwirtschaftlichen Zeitungen bringen diese Behauptung in regelmässigen Abständen, und auch in der Agrarpolitik wird das gutschweizerische Fünfer-oder-Weggli-Prinzip von einigen fleissig genutzt, um das Tierwohl gegen den Umweltschutz auszuspielen. Konkret ging es in letzter Zeit vor allem um die Behauptung, mehr Tierwohl führe unweigerlich zu mehr Emissionen des Umweltgiftes Ammoniak und schade deshalb der Umwelt. Dass man seit Jahrzehnten der gesetzlich verankerten Halbierung der Ammoniakemissionen in der Schweizer Landwirtschaft keinen Schritt näher kommt, hänge halt mit den immer höheren Tierwohlstandards in der Schweiz zusammen, wird dann kurzerhand behauptet. Eben: Den Fünfer und das Weggli gehe halt nicht.

Viel mehr Synergien als Trade-offs

Ö+L GmbH hat auf der Basis von Resultaten aus dem 3V-Projekt (s. Kästchen) eine Übersicht erstellt, in welchen Bereichen mehr Tierwohl der Umwelt schadet (Zielkonflikte bzw. Trade-offs), wo Tierwohl der Umwelt nützt (Synergien), und wo kein Zusammenhang besteht (neutral, vgl. Abbildung). Fazit: In der Beziehung zwischen Tierwohl und Umwelt gilt das Fünfer-oder-Weggli-Prinzip nicht. Im Gegenteil: Je mehr Tierwohl, desto positiver wirkt sich dies in der Regel auf die Umwelt aus. Anders gesagt: Die meisten Massnahmen für mehr Tierwohl nützen zugleich auch der Umwelt. Nur in wenigen, untergeordnet wichtigen Bereichen führt mehr Tierwohl zu einer höheren Umweltbelastung. Und dies auch nur, solange keine flankierenden Massnahmen ergriffen werden. Das heisst, selbst in den wenigen Bereichen, wo es Spannungsfelder zwischen Tierwohl und Umweltaspekten gibt, sind wir diesen nicht einfach ausgeliefert, sondern können sie zu einer Win-Win-Situation umkehren.

Einige Resultate im Detail

Untersucht und bewertet wurden die Wirkungen von 8 wichtigen Tierwohlmassnahmen auf 12 Nachhaltigkeitsaspekte, wovon 8 Umweltaspekte waren. Von den insgesamt 96 Wirkungspaaren wiesen 33 einen deutlich oder zumindest tendenziell positiven Zusammenhang auf, während lediglich 12 einen leicht negativen Wirkzusammenhang zeigten – zumindest wenn keine flankierenden Massnahmen getroffen werden. Unter Berücksichtigung der Stärke der Wirkung waren 89 % der Wirkungszusammenhänge zwischen Tierwohl und Umwelt/Nachhaltigkeit positiv, lediglich 11 % negativ (Link zur Tabelle).

Weidehaltung: besonders viele positive Effekte

Ein Beispiel eines solchen Zusammenhangs ist die Weidehaltung. Weidehaltung ist nicht nur für das Tierwohl eine der wirkungsvollsten positiven Massnahmen, sie ist zugleich mit zahlreichen positiven Umwelteffekten verbunden. So führt Weidehaltung zu stark verminderten Emissionen des Umweltgiftes Ammoniak. Weidehaltung vermindert auch den Energieverbrauch und damit die CO2-Emissionen des Betriebes, weil die Tiere ihr Futter selber holen, statt dass es mit Maschinen aufwändig geerntet, getrocknet oder eingewickelt, mit Futteraufbereitern gemischt etc. werden muss. Diese Einsparungen verbessern zugleich auch die Wirtschaftlichkeit und die Produktivität massgeblich, wie viele Untersuchungen zeigen konnten.

Weidehaltung ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Biodiversität auf dem Betrieb, insbesondere wenn die Weide gut strukturiert wird zum Beispiel mit Bäumen, die für das Tierwohl als Schattenspender wichtig sind. Und sogar die hinterlassenen Kuhfladen leisten einen bisher oft unterschätzten Beitrag an die Biodiversität, denn die zahlreichen darauf lebenden Insekten sind eine wichtige Nahrungsbasis für unzählige weitere Tierarten.

Negative Wirkungen weitgehend vermeidbar

Dies sind nur die wichtigsten positiven Effekte. Es gibt allerdings auch einige negative Umweltwirkungen der Weidehaltung. Sie fallen aber im Vergleich zu den positiven Umweltwirkungen nur sehr geringfügig ins Gewicht. So kann die Bodenfruchtbarkeit lokal aufgrund von Bodenverdichtungen beeinträchtigt werden, wenn die Tiere immer am gleichen Ort durchgehen oder stehen. Oder die Stickstoffeffizienz kann bei vermehrter Futteraufnahme auf der Weide sinken, weil an Harnstellen eine punktuelle Sticktoff-Überdüngung stattfindet. Doch gegen alle negativen Effekte sind wirksame Gegenmassnahmen möglich, so dass bei optimaler Weideführung und Betriebsgestaltung praktisch nur positive Effekte der vermehrten Weidehaltung übrig bleiben.

Ein anderes Beispiel ist der Einsatz von Tiermedizin. Eine tiergerechte Haltung führt nachgewiesenermassen zu einem stark reduzierten Einsatz von Medikamenten wie Antibiotika. Antibiotika, aber auch andere Medikamente, gelangen über den Hofdünger auf Wiesen, Weiden und in Äcker und beeinträchtigen dort auf vielfältige Weise die Mikrofauna, die Mikroflora, aber auch die Entwicklung von Insekten. So führt beispielsweise der Einsatz bestimmter Medikamente zu einer starken Reduktion der Fliegenfauna in Kuhfladen, die wiederum eine wichtige Nahrungsbasis für Vögel ist.

Schlussfolgerungen

Die Gesamtschau zeigt: Mehr Tierwohl bringt unter dem Strich vielfältige positive Wirkungen für die Umwelt. Und in vielen Fällen profitieren davon zugleich auch das bäuerliche Einkommen und die Lebensqualität auf den Höfen. Nehmen wir also den Fünfer und das Weggli und setzen uns politisch, als Konsumentinnen und Konsumenten sowie als Landwirtinnen und Landwirte ohne Wenn und Aber für mehr Tierwohl ein.

Geliebt, gepflegt, aufgegessen – vom ambivalenten Umgang mit dem Tier

Einleitung

Menschen lieben Tiere, schaden ihnen aber trotzdem. Das sehr breite, noch junge Forschungsgebiet der Mensch-Tier-Interaktion versucht diese mitunter beiläufige Beziehung besser zu verstehen. Es untersucht beispielsweise unsere Einstellung zum Tier selbst, wieviel Solidarität wir ihm entgegenbringen, aber auch welcher Nutzung wir es zuführen und wie moralisch vertretbar wir diese finden. Im Folgenden werden einige grundlegende Mechanismen aufgegriffen, die unser Verhältnis zum Tier beeinflussen. Dabei soll ein Augenmerk auf Fleischkonsum gelegt werden, da Fleisch für die meisten Menschen ein unverzichtbarer Bestandteil der Ernährung ist, jedoch dessen Produktion sehr viel Tierleid hervorrufen kann.

Geliebter Hund, verachtetes (Industrie-)Schwein

Moralische Bedenken gegenüber Tieren werden stark durch unsere soziale und kulturelle Beziehung zu ihnen geprägt. In der westlichen Kultur wird beispielsweise der Hund als «Heimtier» und «Gefährte» kategorisiert, während das Schwein als «Nutztier» betrachtet wird. Wie menschenähnlich das Tier wahrgenommen wird, hat einen grossen Einfluss darauf, wie wir mit diesem Tier umgehen. Je mehr menschenähnliche Gefühle und geistige Fähigkeiten den Tieren zugeschrieben werden, desto eher haben Personen auch moralische Bedenken diese Tiere für Nahrungszwecke zu nutzen. Obwohl es keine fundamentalen Unterschiede in den emotionalen oder geistigen Fähigkeiten von Hund und Schwein gibt, fühlt sich der Mensch entsprechend eher moralisch verpflichtet, für das Wohlergehen von ersterem zu sorgen. Das geht so weit, dass beispielweise Teilnehmer einer Studie, die damit konfrontiert wurden, welcher Schaden Nutztieren in bestimmten Fleischmastsystemen zugefügt wird, die geistigen Fähigkeiten und Leidfähigkeit dieser Tiere in Frage stellten und aktiv herabsetzten. Dadurch erscheinen die Nutztiere dem Menschen weniger ähnlich und Bedenken bezüglich ihres Wohlergehens werden reduziert. In Folge fühlen sich Menschen auch besser in Bezug auf ihren Fleischkonsum und mögliche Gefühle von Unwohlsein werden vermindert. Diesen Prozess der Distanzierung kennt man auch von Mensch-Mensch-Interaktionen, wenn Täter ihre Opfer entmenschlichen. Das Verneinen von Leidfähigkeit und geistigen Fähigkeiten von Nutztieren wird gebraucht, um moralische Bedenken zu reduzieren.

Fleischkonsum: ein moralisches Dilemma

Viele Menschen wollen nicht, dass Tiere getötet werden und wollen weder Leid noch Schmerz verantworten. Trotzdem essen sie Fleisch. Diese Ambivalenz wird häufig als «Fleisch-Paradoxon» bezeichnet. Dementsprechend steht das Verhalten nicht im Einklang mit moralischen Überzeugungen und kann negative Emotionen hervorrufen. Während einige Menschen ihren Fleischkonsum reduzieren, um dem psychologischen Unbehagen (d. h. der kognitiven Dissonanz) entgegenzuwirken, behalten andere ihr Verhalten bei, lösen sich aber (unbewusst) von ihren moralischen Grundsätzen. Diese Loslösung von moralischen Grundsätzen wird von einer Reihe unterschiedlicher Rechtfertigungsstrategien begleitet. Das bereits angesprochene Absprechen von Leidfähigkeit der Nutztiere stellt eine solche Rechtfertigungsstrategie dar. Weitere sind eine Entkopplung zwischen Tier und Fleisch auf dem Teller oder die Verdrängung von negativen Informationen über Tierhaltung und Schlachtung. So kann das Essverhalten weiterhin praktiziert werden, ohne widersprüchlich zu handeln. Durch die Rechtfertigungsstrategien fühlen sich Menschen trotz Fleischkonsum gut. Personen meiden mitunter Informationen zur Fleischproduktion oder intensivieren die Rechtfertigungsstrategien als Reaktion auf solche Informationen. Deshalb ist es unwahrscheinlicher, dass Personen, die einige dieser Rechtfertigungsstrategien nutzen, ihr moralisches Dilemma durch den Konsum tierfreundlicher Produkte lösen.

Ethisch fleischessende Personen

sIn den letzten Jahren hat das Thema bewusster und moralisch vertretbarer Konsum an Bedeutung gewonnen. Im Zuge dessen sollen ethische Überlegungen den Kaufentscheid prägen. Vor allem Fleisch steht in der Kritik, da seine Produktion ressourcenintensiv ist, ein zu hoher Konsum ungesund und bei der intensiven Fleischproduktion das Tierwohl nicht gewährleistet wird. Unter denjenigen, die sensitiv auf diese Belange reagieren, haben sich in Bezug auf Fleischkonsum zwei Bewegungen herauskristallisiert: sich vegetarisch/vegan ernährende Personen und solche, die ethisch Fleisch essen. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie Fleisch nur konsumieren, wenn seine Herstellung gewisse moralische Standards erfüllt. Sie sind der Überzeugung, dass das Leid der Tiere in konventionellen Mastsystemen das Problem darstellt. Mit der Tatsache, dass Tiere für den Verzehr getötet werden, haben sie weniger Schwierigkeiten. In der Schweiz macht der Anteil von Produkten mit hohem Tierwohlstandard nur 10 bis 15% aus. Es lässt sich vermuten, dass Personen, die ethisch Fleisch essen, die Hauptkonsumierenden dieser Produkte sind.

Berichte über fragwürdige Zustände in einigen Tierhaltungssystemen haben die Bürger und Bürgerinnen aber sensibilisiert. Sie fordern die Landwirtschaft auf, dem Tierschutz mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Tiere sollen unter Bedingungen gehalten werden, die den natürlichen Bedingungen so nahe wie möglich sind. Jedoch wird die intensive Nutztierhaltung durch den Kauf entsprechend produzierter Fleischwaren weiterhin unterstützt. Dies im Gegensatz zu den Antworten, die Befragte in Umfragen geben, in denen sie dem Tierwohl mehr Gewichtigkeit geben als bei der Entscheidung an der Ladentheke (auch bezeichnet als Attitude-Behavior-Gap). Für diese Diskrepanz zwischen kommunizierten Werten und dem Kaufverhalten gibt es eine Reihe von möglichen Gründen. Dazu gehören die bereits erwähnte Abgrenzung zwischen Fleischkonsum und Tierleid durch Rechtfertigungsstrategien. Auch ein mangelnder Glaube, Veränderungen durch das eigene Kaufverhalten bewirken zu können und die fehlende Sichtbarkeit der leidenden Tiere hinter verschlossenen Toren sind Gründe.

Leider ist häufig auch das Tierwohl weniger wichtig als der Preis der Produkte. Wenn zudem der Eindruck besteht, dass die konventionelle Tierhaltung im eigenen Land bereits sehr positiv zu bewerten ist, sehen viele keine Veranlassung die teureren Tierwohlprodukte zu kaufen. Dieser Eindruck ist mitunter zurückzuführen auf mangelnde Transparenz bei der Fleischproduktion und wird gefördert durch beschönigende Werbung.

Ausblick

Viele Aspekte rund um einen problematischen Umgang mit Tieren, dem Dulden (oder aktiv zufügen) von Leid und Schmerz und Rechtfertigen unmoralischen Verhaltens, sind das Ergebnis kultureller Normen. Denn Kultur formt, unser Denken über die Tiere und wie der Mensch sich ihnen gegenüber positioniert. Häufig werden die eigenen Bedürfnisse und Interessen über die des Tieres gestellt, mit der Konsequenz, dass Tierleid gefördert wird. Dies nicht nur im Bereich der Nutztiere, sondern auch in anderen Bereichen in denen sich der Mensch Tiere zunutze macht (Wildtiere, Heimtiere, Versuchstiere).

Verschiedene persönliche Bedürfnisse und Überzeugungen prägen das Konsumentenverhalten und damit auch den Fleischkonsum. Für einen Teil der Konsumierenden ist tierfreundliche Produktion massgebend für die Kaufentscheidung. Für einen anderen Teil ist es der Preis, ungeachtet der Tierhaltung und Herkunft der Produkte.

Die Konsumierenden müssen entscheiden wieviel Tierwohl sie haben möchten. Die erwähnten psychologischen Mechanismen und unser teilweise unreflektiertes (Konsum-)verhalten verhindern aber eine stärkere Änderung der Produktionssysteme hin zu mehr Tierwohl. Daher scheint es unumgänglich zu sein, entsprechende Regulierungen zu schaffen, damit tiergerechte Produktion zum Standard wird.

Quellen

  • Dhont, K., & Hodson, G. (Eds.). (2019). Why we love and exploit animals: Bridging insights from academia and advocacy. Routledge.
  • Rothgerber, H. (2015). Can you have your meat and eat it too? Conscientious omnivores, vegetarians, and adherence to diet. Appetite, 84, 196-203.
  • Loughnan, S., Bastian, B., & Haslam, N. (2014). The psychology of eating animals. Current Directions in Psychological Science, 23(2), 104-108.
  • Xu, C., Hartmann, C., & Siegrist, M. (in prep.). The impact of information about animal husbandry systems on consumers’ choice of meat products in a virtual supermarket.

FAQ zu AP 30+, Tierwohl & nachhaltigem Konsum


Was ist AP 30+ – und warum ist sie wichtig für das Tierwohl?

AP 30+ ist die Reform von Landwirtschaft und Ernährung ab 2030. Sie betrachtet die Wertschöpfung als Gesamtsystem mit Zielen wie Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit und Resilienz. Tierwohl ist darin verankert: weniger Futterimporte, mehr Kreislaufwirtschaft und ein höherer Anteil pflanzlicher Proteine. Der STS sitzt in der Begleitgruppe und bringt Tierwohl-Forderungen direkt ein.

Was fordert der Schweizer Tierschutz STS konkret in AP 30+?

Priorität für Weide und regelmässigen Auslauf; Ausbau und solide Finanzierung von RAUS/BTS; klare Zeitpläne und messbare Standards; Begrenzung von Herdengrössen; standortgerechte, kreislauforientierte Produktion; faire Entschädigung entlang der Kette sowie Marktregeln gegen Preisverzerrungen bei Labelprodukten. Ziel: wirksame Tierwohlprogramme mit stabiler Finanzierung und Transparenz.

Wie beeinflussen Importe und Freihandel (z. B. Mercosur) das Tierwohl in der Schweiz?

Importe aus tierschutzwidriger Produktion drücken Preise und Standards. Der STS verlangt Gleichwertigkeitsklauseln, punktuelle Importverbote bei ungenügenden Standards, eine konsequente Deklarationspflicht und entwaldungsfreie Lieferketten. Als Mitglied der Eurogroup for Animals wirkt der STS an europäischen Mindeststandards mit – zum Schutz von Tierwohl, Umwelt und Konsument:innen.

Was können Konsument:innen, Betriebe und Politik jetzt tun?

Konsument:innen: tierfreundliche Labels wählen, Fleischkonsum senken, informiert einkaufen. Betriebe: Labelsortimente ausbauen, fair bepreisen, Gemeinschaftsgastronomie auf Tierwohl ausrichten. Politik: RAUS/BTS besser finanzieren, Kreislaufwirtschaft stärken, klare Tierwohlziele in AP 30+ verankern und transparent machen. So steigen Absatz und Wirkung tierfreundlicher Produkte nachhaltig.